• Ukraine-Krieg 2022 •
Der Sprachlosigkeit eine
Stimme geben
Für einen Schreiber, der
normalerweise satirische Texte verfasst, ist es schwierig, den brutalen
Aggressionskrieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine angemessen zu
kommentieren. Obwohl mir zahlreiche Gewaltexzesse dieses Despoten bekannt
waren, wollte ich doch nicht so ganz glauben, dass dieser vermeintlich rational
kalkulierende Machtstratege zu einem derart blutigen Überfall schreiten werde.
Dass dieser Krieg nun Realität ist, macht mich, wie viele andere, zunächst
sprachlos. Auch die Ironie ist mir erst einmal abhandengekommen. Mein
Reflexionsbeitrag zum derzeitigen Geschehen kann deshalb – zumindest im
jetzigen Zeitpunkt - kein satirischer Text sein. Wir sind sprachlos angesichts des
offensichtlichen Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung in Mariupol und in anderen
ukrainischen Städten. Doch gerade, weil wir zunächst sprachlos sind, ist es
wichtig, lautstark und mit deutlicher Sprache unsere Stimme gegen all’ jene
Untaten zu erheben, die uns immer wieder sprachlos machen. Die Kriegsgurgeln im
Kreml wollen ja gerade, dass alle sprachlos bleiben, die nicht ihre amtliche
Propagandasprache sprechen. Die Sprachdemontage geht soweit, dass der Krieg
nicht einmal mehr Krieg genannt werden darf. Wer dieses Wort dennoch
ausspricht, wird festgenommen. Mehr als 15'000 Russinnen und Russen sind bisher
wegen Antikriegsprotesten verhaftet worden. Alle Menschen, die in Russland mit
hohem persönlichem Risiko gegen den Krieg auf die Strasse gehen, verdienen unseren grössten Respekt. Ganz besonders
eindrücklich ist hier die Geschichte jener Frau in Nischni Nowgorod, die sich
mit einem völlig leeren weissen Plakat auf einen Platz im Stadtzentrum gestellt
hat. Die Botschaft dieses unbeschriebenen weissen Plakats ging den Behörden
offenbar schon zu weit, sodass die Frau unverzüglich von zwei Polizisten
abgeführt wurde. Je nach Kontext kann Sprachlosigkeit offenbar eine
ausgesprochen deutliche Sprache sprechen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Ereignisse ist in Russland jede und jeder in der Lage, die wortlose Aussage auf
dem leeren weissen Plakat zu lesen. Das, was es hier zu sagen gibt, ist derart
offensichtlich, dass es gar nicht nötig ist, es mit Worten auszusprechen.
Gerade diejenigen, die bestreiten, dass das Offensichtliche gewissermassen in
der Luft liegt, bestätigen die Offensichtlichkeit dieser Botschaft ungewollt
durch die Verhaftung der wortlosen Überbringerin. Bemerkenswert ist auch die
Zeitungsmeldung über jenen Mann in Moskau, der sich mit dem Buch «Krieg und
Frieden» von Tolstoi auf die Strasse gestellt hat und von der Polizei sofort
festgenommen wurde. Offenbar fühlt sich der russische Staat nun auch von der
klassischen russischen Literatur bedroht. Aber nicht nur die Ereignisse in
Osteuropa machen mich sprachlos. Äusserst befremdlich wirken da auch jene westlichen
Anhänger einer toxisch-autoritären Männlichkeit, welche bis vor kurzem noch
Putin als urmännliche Führerfigur und als «gesundes» Gegenbild zum angeblich
dekadenten Westen bewundert haben. Diese «Putin-Versteher/innen» von Trump über
Berlusconi, Marine Le Pen, Köppel, Salvini und Orban, bis zum
Fox-TV-Starmoderator Tucker Carlson, offenbaren mit ihren Putin-Sympathien vor
allem eines: eine erschreckende Bewunderung autoritär-nationalistischer
Regierungsformen. Besonders grotesk mutet an, dass zum Teil dieselben
Republikaner, die sich eben noch mit Trump als «Putin-Versteher» hervorgetan
haben, nun dem US-Präsidenten Joe Biden vorwerfen, er sei zu wenig hart
gegenüber Putin. Zu hoffen ist, dass die vom «Modell Putin» inspirierte
Demontage der demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen in Polen und Ungarn nun
endlich ihre populistische Attraktivität verliert, und dass dort bald wieder
demokratisch eingestellte Regierungen und Parlamente gewählt werden. Ausserdem
ist zu hoffen, dass die demokratiefeindlichen Kräfte um Donald Trump in den USA
nun definitiv an Boden verlieren. Zu allererst jedoch geht es darum, alles zu
tun, was zu einem baldigen Ende dieses furchtbaren Krieges führt. Es ist zu
hoffen, dass hier beherzte, kluge und beharrliche Verhandlungs- und
Vermittlungsfachleute zum Zug kommen, die auch mit äusserst narzisstischen
Persönlichkeiten umzugehen wissen und die fähig sind, auf die Empfindlichkeiten
und legitimen Interessen beider Seiten konstruktiv einzugehen. - Spätestens nach
Bekanntwerden der russischen Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung fällt
es allerdings schwer, in diesem Kriegszusammenhang noch irgendwelche legitime russische
Interessen zu finden. - Auf jeden Fall ist die Forderung nach Frieden, oder
zumindest nach einem Schweigen der Waffen, so gross und allgegenwärtig (früher
oder später auch in Russland), dass kein Machthaber diese Forderung – auch wenn
sie notfalls die Form eines leeren weissen Plakats annimmt – dauerhaft
ignorieren kann.
Stein am Rhein, 04. 04. 2022, Christof
Brassel
Ukrainekrieg: Hinweise des Kantons Schaffhausen
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt auch die Bevölkerung im Kanton Schaffhausen. Viele Personen sind verunsichert und haben Fragen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine.
Informationen finden Sie unter: www.sh.ch/ukraine