Lernen aus viralen Zeiten? - SP-resso

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Lernen aus viralen Zeiten?
 
Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, gut! Die Frage hat heute einen ganz anderen Klang. Erstens, weil man sie meist über Medien stellt, denn man sieht sich ja kaum mehr, und zweitens, weil sie so dringend nötig wäre! Mir geht es zwar gut, aber dass das Leben in so kurzer Zeit so anders werden kann, ist schon verrückt. Und bringt viele ans Limit, gerade Familien mit schulpflichtigen Kindern oder Ältere, Kranke, Gewerbetreibende oder Alleinstehende. Da wünsche ich mir sehr, dass wir auch in Stein einander unterstützen und uns getrauen, Hilfe zu erbeten!
 
Auch der Politbetrieb ruht, keine Fraktionssitzung, keine Kommission, kein Einwohnerrat. Da lockt es mich, mal einen grossen Bogen weit zurück zu wagen:
 
Was heute oft harmlose Kinderkrankheiten sind, dürfte gerade in der Jungsteinzeit, als die Menschen die Viehzucht erfanden, immer wieder übel gewütet haben – oft waren es schon damals Viren, winzige Nicht-Lebewesen, die unsere Zellen zwingen, sie massenhaft zu vermehren. Über viele Generationen wurden wir in der Alten Welt immer immuner. Als dann Kolumbus Amerika entdeckte, rafften unsere Krankheiten innert weniger Jahrzehnte von den bis zu 100 Mio. Indigenen Nord- und Südamerikas fast alle dahin – eine epochale Katastrophe: Nur eine/r von 10 oder 20 überlebte. Hochkulturen zerfielen, riesige Gebiete wurden verlassen, über Pyramiden und Feldern wuchsen wieder Urwälder und entzogen der Atmosphäre gigantische Mengen CO2. Soviel, dass dies nach einer aktuellen These das Klima merklich abgekühlt haben dürfte und die kleine Eiszeit im 16./17.Jahrundert deutlich verstärkt haben könnte: Hungersnöte plagten Europa. Kolumbus löste also eine Art Globalisierung aus, mit fatalen Folgen. Und heute sind Börsen und Güterströme globalisiert, viele kennen Mallorca oder Thailand besser als die Schweiz, und die Wälder der Welt sind abgeholzt wie noch nie. All das setzt uns enormen Risiken aus: Krisen breiten sich blitzschnell weltweit aus: 2008 die Finanzen, und nun 2020 Viren. Der hoch vernetzten Weltwirtschaft droht eine starke Rezession. Staaten stellen sofort Milliarden bereit, um die Folgen zu dämpfen. Sinnvoll! – Nur frage ich mich: Wie kann es sein, dass wir für 24'000 Millionen zwei NEAT bauen, für die Bankenrettung über Nacht mehr als 60’000 Millionen einsetzen, und heute sofort 10'000 Millionen und mehr Wirtschaftshilfe sprechen, aber wenn es um unsere Klimazukunft geht, dann flossen über Jahrzehnte bis heute weniger als 200 Millionen in die Solarförderung (= 0.3% der Bankenrettung)….?
 
Was lerne ich aus der Viruskrise für die Politik?

1. Wir brauchen einen starken Staat und starke soziale Systeme, die einer starken Wirtschaft als Rückgrat in Krisen dienen können.

2. Dieser Staat braucht – auf allen Ebenen - endlich den Mut, nicht nur bei akuten Krisen zu buttern, sondern auch wenn es um die Zukunft geht – wenn die Klimakrise so knallhart spürbar sein wird wie jetzt die Viruskrise, wird es zu spät sein.

3. Die Welt ist vielperspektivisch und unglaublich komplex – die einfachen Rezepte der Populisten, die auf Sündenböcke zeigen, taugen nichts.

4. Wir müssen als solidarische Gesellschaft urschweizerisch die Probleme gemeinsam lösen.

 
Vielleicht ziehen Sie für sich ganz andere Schlüsse? Würde mich interessieren! – Ich wünsche uns allen jedenfalls, dass wir diese Krise gemeinsam gut meistern, aber auch innehalten und die Verlangsamung für einen neuen Blick auf unser verrücktes Weltkarussell und unsere Rolle darin nutzen! Ich wünsche Ihnen viel Gelassenheit und Kraft für diese Zeit!

Markus Vetterli, Einwohnerrat, Stein am Rhein, 22.03.2020

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